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Der Araber unter den Hengsten
60 Jahre Jawa „Kiewatschka” – ein motorradtechnischer Quantensprung und seine gesellschaftlichen Wirkungen
Sie waren die ersten Sandkörner im gesellschaftlichen Getriebe einer neuen Gesellschaftsform und sind nun, nach sechs Jahrzehnten, zu einer Legende geworden: die Mitglieder der ehemaligen Jawa-Klubs mit ihren schönen 350-er Jawas.
Die erste Generation der damaligen Jawa-Fahrer sind heute noch einige ergrauten Herren, alle jenseits der siebzig Lebensjahre, aber zum Teil noch sehr vital und mit
vielen Erinnerungen an eine bewegte Zeit. Sie waren im Osten die ersten Rocker, die mit ihren Motorrädern der Marke Jawa aus der ehemaligen CSSR, mit schwarzen
Helmen, verziert mit gelben Sternen, auf den Straßen und in der Gesellschaft der DDR für etwas Unruhe sorgten. Sie zogen mit ihrem Erscheinungsbild nicht nur die Augen der Frauen auf sich, sondern auch die des Gesetzes.
Weit bevor sich im westlichen Teil Deutschlands die noch heute sehr aktiven Rockerklubs etablierten, entstanden bereits in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre in zahlreichen Orten der DDR, die sogenannten Jawa-Klubs.
Schickstes Motorrad seiner Zeit im Osten
Diese Ostklubs hatten in der Regel keinen eingetragenen Status, ihre Organisationsstruktur war nicht aufwendig und ein politisches Motiv war nicht sehr offensichtlich.
Aber sie verfügten über ein starkes Selbstbewusstsein und hatten ein ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Ihre Mitglieder waren zwischen 18 und 25 Jahre jung und als Kriegskinder offen für neue Herausforderungen, abseits von staatlichen Vorgaben.
Ihre jugendliche Vitalität fand in der tschechischen Marke Jawa und insbesondere mit der Jawa „Kiewatschka” (Kývacka), welche 1954 in Serie ging und bis 1974 produziert wurde, eine leidenschaftliche Verbindung.
Kein anderes Motorrad des Ostens konnte zu dieser Zeit auch nur annähernd die optischen, technischen, aber auch akustischen Parameter wie diese Neuentwicklung erfüllen, die sich besonders die damalige Jugend wünschte.
Ein Wermutstropfen aber entstand beim Blick auf den Kaufpreis von 3.592 Mark der DDR, insbesondere unter dem Gesichtspunkt eines durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens von etwa 350 Mark. Trotzdem fand dieser Einheitsmotorradtyp eine breite Käuferschicht.
Übrigens nicht nur in Osteuropa, sondern auch in Ländern des Westens und in einigen Überseestaaten. Die Konstrukteure der staatlichen Jawa- Werke in der Tschechoslowakei schufen ein optisch elegantes und leistungsstarkes Motorrad, welches mit unterschiedlich luftgekühlten Zweitakt-Motoren (125, 150, 175, 250 ccm Einzylinder und 350 ccm Zweizylinder) ausgestattet war.
Ab dem Baujahr 1958 erfuhren diese Motorräder dann einige optische und technische Veränderungen. Die bis dahin verbauten Schwalbenschwanzauspuffe wurden durch die modernere und sportliche Zigarrenform ersetzt, die Motorleistung der 350er erhöhte
sich von 16 auf 18 PS, die Zündschlossanlage wurde vom Tank in ein neu gestaltetes Lampengehäuse integriert, die Luftfilteranlage erhielt eine aerodynamische Blechverkleidung unter der neuen sportlichen Sitzbank und das bisherige tropfenförmige Rücklicht wurde durch eine breite rechteckige Form der Zeit angepasst.
Diese optisch ansprechende Form wurde durch den bekannten roten Lack, im Wechsel mit Chromflächen und goldener Linierung, noch unterstrichen. Aber auch andere Farben wie Schwarz, Grau, Weiß oder Blau kamen entsprechend der Wünsche der Großkunden zum Einsatz.
Die Verkaufszahlen beflügelten auch die tschechoslowakische Zubehörindustrie, insbesondere die Firma Velorex, die ein breites Sortiment entwickelte, so zum Beispiel die formschönen Seitenwagen, die einachsigen Anhänger Pav 40/41 sowie verschiedene Wetterverkleidungen.
Jawa-Klubs zwischen Ostsee und Thüringen
Da die Tschechen das wachsende Kaufinteresse sehr zeitnah befriedigen konnten und die Fahrzeuge in hervorragender Qualität gefertigt waren, entwickelten sich von der Ostsee bis in den Thüringer Wald rasch zahlreiche Jawa-Klubs.
Im Südharz entstand in Nordhausen ein zahlenmäßig sehr großer Klub, ein kleinerer in der Gemeinde Wolkramshausen.
Die Nordhäuser Klubmitglieder trafen sich regelmäßig im Central-Café des damaligen Filmtheaters „Neue Zeit”, die Wolkramshäuser in der ehemaligen Kinogaststätte Grabe. Dort wurden die Unternehmungen geplant und die technischen Veränderungen vorgestellt.
Da bereits kurz nach dem Beginn der Serienproduktion auch der Einsatz der neuen Jawa sehr erfolgreich im Rennsport erfolgte, war auch das Bestreben der Klubmitglieder
gegeben, analog der Cafe-Racer-Szene in London ihre Motorräder optisch und technisch zu frisieren.
Berühmt und berüchtigt waren, wie in England, auch hier die illegalen Straßenrennen mit zum Teil tragischem Verlauf.
Der folgenschwerste Unfall ereignete sich beim Nordhäuser Klub am 12. Juli 1961. An diesem Tag verunglückten gleich zwei Fahrer tödlich. Ein Todesopfer, ebenfalls mit einer 350er Jawa, hatte auch der Klub in Wolkramshausen zu verzeichnen.
Für die jeweiligen Klubmitglieder waren solche Ereignisse immer schockierend. Der Unfall des Nordhäuser Klubs wurde damals durch die Verkehrspolizei mit Bezug auf die Figur des „Hugo Leichtsinn” und unter Zurschaustellung der beteiligten Unfallmaschinen öffentlich sehr stark ausgewertet. Den Nordhäuser Klubmitgliedern wurden nach
diesem Unfall die Führerscheine entzogen.
Erst öffentliche Proteste veranlassten die damalige Staatsanwaltschaft, die eingezogenen Papiere wieder zurückzugeben.
In den folgenden Jahren wechselte, insbesondere auch durch natürliche Prozesse, der ursprüngliche Mitgliederbestand und jüngere Jawa-Fahrer zogen nach.
Mitte der 1960er Jahre lösten sich die Klubs auf und der Motorsport wurde überwiegend durch den ADMV, die GST oder durch Arbeitsgemeinschaften von VEB
betrieben.
Von Hubert W. E. Rein Vorsitzender des Ost Klassiker Klubs e. V., Wolkramshausen in Thüringen[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]